- Byzanz als zweites Rom \(565 bis 1453\): Kontinuität im Osten
- Byzanz als zweites Rom (565 bis 1453): Kontinuität im OstenKaiser Konstantin der Große legte 324 den Grundstein für Konstantinopel, die neue Kaiserstadt am Bosporus, und am 11. Mai 330 vollzog er die feierliche Einweihung. Dieser Ostverlagerung des Reichsmittelpunktes kam eine zukunftweisende Bedeutung zu. Sie schloss auch ein positives Verhältnis der Kaisermacht zum bisher verfemten christlichen Glauben ein. Im östlichen Mittelmeerraum konnte sich so aus der engen Verbindung von fortlebender römischer Staatlichkeit, griechischem Kulturerbe und christlicher Religion ein Staatswesen formen, das die Völkerwanderungszeit besser überdauerte als der Westteil des Reiches. Es fungierte während des »byzantinischen Jahrtausends« als Bollwerk des Christentums gegen den Ansturm des Islam sowie als Missions- und Kulturzentrum für die Slawen.Nach der erneuten Reichsteilung von 395 wurde der Gedanke der Reichseinheit zwar noch nicht aufgegeben, doch die zunehmende Entfremdung zwischen den beiden Reichsteilen war nicht mehr aufzuhalten. Die politischen Gewichte verschoben sich immer mehr nach Osten. Während das alte Reichszentrum Rom in den Wirren der Völkerwanderungszeit seine frühere Machtstellung einbüßte, konnten sich die Herrscher im Osten erfolgreicher behaupten. Im 6. Jahrhundert reichten unter Kaiser Justinian I. zeitweise die neu gewonnenen Kräfte sogar aus, eine Wiederherstellung der territorialen Reichseinheit zu versuchen.Die Feldherren Belisar und Narses konnten innerhalb weniger Jahre die an germanische Stämme verlorenen Territorien in Nordafrika (533/534), Italien (535—555) und Südspanien (554) wieder zurückerobern. In Ravenna und Karthago residierte seither bis 751 bzw. 698 ein Exarch, ein Statthalter des Kaisers. Nach mehreren Kriegszügen in Lazika (am Schwarzen Meer), Mesopotamien und Armenien konnte auch die Persergefahr an der Ostgrenze vorerst gebannt werden.Die lange Regierungszeit Justinians I. (527—565) markiert einen letzten Höhepunkt imperialer Machtentfaltung im gesamten Mittelmeerraum vor dem Arabersturm in der Mitte des 7. Jahrhunderts. Unterstützt von seiner tatkräftigen Gemahlin Theodora trat er erfolgreich als oberster Repräsentant der universalen christlichen Kaiseridee und des römischen Staatsgedankens auf. 528 gab er einer Juristenkommission unter Tribonianus den Auftrag zur systematischen Erfassung (Kodifikation) des römischen Rechtes. Das Expertengremium brachte mit dem »Corpus Iuris Civilis« eine für die europäische Geschichte fruchtbare Entwicklung des römischen Rechtsdenkens zu einem vorläufigen Abschluss. Als Bauherr der monumentalen Zentralkuppelkirche der Hagia Sophia in Konstantinopel (erbaut 532—537) schuf Kaiser Justinian der gesamten östlichen Christenheit einen religiös-liturgischen Mittelpunkt.Kaiser und Reich in ByzanzDie Kaiser in Konstantinopel haben sich nie als Herren nur der östlichen Hälfte des ehemaligen Imperium Romanum gefühlt. Sie verstanden sich immer als die eigentlichen und alleinigen Repräsentanten des römischen Weltreiches und hielten ungeachtet des seit dem 7. Jahrhundert sich durchsetzenden griechischen Einflusses an den ererbten römischen Traditionen fest. Bis zum Fall der Kaiserstadt Konstantinopel im Jahre 1453 beanspruchten die Bewohner des Byzantinischen Reiches das exklusive Anrecht auf die stolze Selbstbezeichnung als »Römer« (griechisch »Rhomaioi« bzw »Rhomäer«). Weder »Ostrom« noch »Byzanz« waren zeitgenössische Bezeichnungen. Die Bezeichnung »Byzanz« ist eine Erfindung der Humanistenzeit. Sie wurde in Anlehnung an eine frühe megarische Siedlung Byzantion gewählt, die im Zuge der griechischen Ostkolonisation 667 v. Chr. in der Nähe des späteren Konstantinopel angelegt worden war.Die byzantinische Kaiseridee ist gekennzeichnet durch ein harmonisches Zusammenwirken der weltlichen und kirchlichen Instanzen zum Seelenheil aller Untertanen (Gedanke der symphonia). Aus dem unmittelbaren göttlichen Herrschaftsauftrag leiteten die Kaiser ihre zusätzliche Verpflichtung ab, auch für die Reinerhaltung der kirchlichen Lehrüberlieferung zu sorgen, Abweichungen von der Lehre mit staatlichen Gewaltmitteln zu ahnden und notfalls ein »Normenkontrollverfahren« zur Wahrheitsfindung in Glaubensfragen in Gang zu setzen. Die Mitwirkung der Kaiser an den ökumenischen Konzilien des 4. bis 8. Jahrhunderts wurde von den beteiligten Kirchenmännern keineswegs als anstößig empfunden, beanspruchten die Kaiser doch keine eigene Lehrautorität.Ihrer staatsrechtlichen Stellung nach standen die Kaiser in der ungebrochenen Traditionslinie der römischen Imperatoren. Im aufwendigen Hofzeremoniell fanden sich jedoch auch Elemente eines altorientalischen Gottkaisertums. Von der Kirche wurde der jeweilige Amtsinhaber als von Gott ausgewählter und beauftragter oberster Machtträger, als Herrscher von Gottes Gnaden, angenommen.Der dynastische Gedanke konnte in Byzanz keine festen Wurzeln schlagen. Palastrevolutionen dienten als notwendiges Korrektiv bei maßloser Machtausübung. Einer erfolgreichen Machtergreifung blieb auf Dauer die Anerkennung nicht versagt. Den altrömischen Gewohnheiten gemäß hatte die Kaiserkür wohl weiterhin im Einvernehmen von Heer, Senat und Volk zu erfolgen. Doch in der Art und Weise des Wahlverfahrens schlugen sich wechselnde Anforderungen an den Amtsträger nieder. In friedlicheren Zeiten behielten die Senatoren die Fäden in der Hand. Im ausgehenden 6. Jahrhundert, in einer Zeit akuter äußerer Bedrohung, waren vornehmlich Feldherrntalente gefragt. Es war die Stunde der Soldatenkaiser, die unmittelbar im Heerlager aus dem Kreis tüchtiger Offiziere gekürt wurden. Die Mitwirkung des Volkes blieb zu allen Zeiten auf die nachträgliche Zustimmung beschränkt.Der Kampf ums Überleben (7.—8. Jahrhundert)Der Zusammenbruch der Reichsverteidigung an der Nord- und Ostgrenze hatte 610 dem energischen Sohn des Exarchen von Karthago, Herakleios, den Weg zum Thron geebnet. Als Kaiser Herakleios (610—641) begründete er die herakleianische Dynastie (610—711); er bannte die akute Gefahr, die von den Awaren im Donauraum sowie von den nach Kleinasien, Syrien und Palästina vorstoßenden Persern ausging. 626 konnte Herakleios den unkoordinierten Angriff beider Gegner auf Konstantinopel erfolgreich abwehren und 627 den sassanidischen Großkönig Chosrau II. vernichtend schlagen. Am Ende seiner Regierungszeit musste er dennoch miterleben, dass sich die Grenze im Osten nur notdürftig stabilisieren ließ. Gegen die vordringenden Araber war sie nicht mehr zu halten. Innerhalb weniger Jahre gingen Palästina (634—640), Syrien (636), Mesopotamien (639/640) und Ägypten (642), landwirtschaftlich wichtige Kernregionen des Reiches, wieder verloren und selbst in Kleinasien geriet die byzantinische Herrschaft ernsthaft ins Wanken.Auf der Balkanhalbinsel hatte zur gleichen Zeit die Landnahme der Slawen den kaiserlichen Herrschaftsraum erheblich eingeengt. Die turksprachigen Protobulgaren überschritten unter ihrem Führer Asparuch 679 die untere Donau und gründeten das Erste Bulgarische Reich auf Reichsterritorium. Erfolgreicher war der damalige Kaiser in der Abwehr wiederholter Angriffe arabischer Seestreitkräfte auf die Reichshauptstadt in den Jahren 674 bis 678.Das Byzantinische Reich reagierte auf die äußere Bedrohung mit einer schrittweisen Umorganisation der Verwaltungsstruktur. In Anpassung an die vorrangigen Verteidigungsaufgaben wurde die bisherige Gewaltentrennung zwischen Militär- und Zivilverwaltung aufgehoben. Militärbefehlshaber (Strategen) vereinigten die oberste Gewalt in ihren Händen und lösten die Präfekten in den bisherigen Provinzen ab. Derartige militärische Befehlsbereiche (Themen) wurden in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts zunächst in den besonders gefährdeten kleinasiatischen Ostprovinzen eingerichtet.Die Araber und EuropaTrotz aller Anstrengungen mussten sich die Kaiser dennoch bis zum Ende des 7. Jahrhunderts mit weiteren Einbrüchen an der Ost- und Südgrenze des Byzantinischen Reiches abfinden. Mit Teilen Armeniens und Kilikiens gingen 692 wichtige östliche Randzonen an den Islam verloren. 698 musste das Exarchat Karthago in Nordafrika aufgegeben werden. In den Wintermonaten 717/718 hatte sich Konstantinopel einer erneuten arabischen Belagerung zu erwehren. Der Stratege des Thema Anatolikon, Leon, bewährte sich als militärischer Führer in dieser schweren Zeit. Er entstammte einer nordsyrischen Bauernfamilie und hatte sich aus niederen Verhältnissen emporgedient. Als Kaiser Leon III., der Syrer (717—741), zerschlug er den Belagerungsring und verdrängte im Gegenstoß die arabischen Invasoren aus Kleinasien, ohne aber ihren Angriffswillen auf Dauer brechen zu können. 825 fiel ihnen Kreta in die Hände. 827 setzten die Araber nach Sizilien über und brachten bis 902 die gesamte Insel unter ihre Gewalt.Auf der Balkanhalbinsel hatten die kaiserlichen Truppen zunächst mit mehr Geschick operiert und Angriffe der Bulgaren erfolgreich abgewehrt. Nach der schrecklichen Niederlage des Kaisers Nikephoros I. (802—811) im Jahre 811 drohten auch hier die Dämme zu brechen. Nur der vorzeitige Tod des Bulgarenkhans Krum 814 verschaffte dem Reich eine Verschnaufpause.Das Eindringen der Araber in die Ostprovinzen des Byzantinischen Reiches hatte nachhaltige politische und ökonomische Auswirkungen. Jahrhundertealte Handelsverbindungen wurden unterbrochen. Antiochia und Alexandria sowie andere einst blühende Handelsstädte Syriens und Ägyptens büßten ihre führende Rolle im internationalen Handel ein. Überfälle von Seeräubern verunsicherten die Küstengewässer. Die Weiterentwicklung einer städtischen Gesellschaft im Byzantinischen Reich erlitt einen schweren Rückschlag.Angesichts der immer bedrohlicheren Vorgänge im Mittelmeerraum war auch der noch verbliebene byzantinische Vorposten in Italien nicht mehr zu halten. 751 überrannten die Langobarden das Exarchat von Ravenna. Die italische Bevölkerung hielt in der Not Ausschau nach einem verlässlicheren Schutzherrn jenseits der Alpen. Unter päpstlicher Vermittlung wurde schließlich die folgenreiche Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre 800 in Rom arrangiert, ein revolutionärer Akt, den die Kaisermacht in Konstantinopel nicht hinzunehmen bereit war. Das Zweikaiserproblem barg erheblichen machtpolitischen und protokollarischen Zündstoff.Der labile innere Frieden des Reiches war ernsthaft gefährdet, als Leon III. seit 726 den kirchlichen Bilderkult infrage stellte. Die Kaiser der syrischen Dynastie (717—802) provozierten mit ihrem Bilderverbot einen lang anhaltenden gesellschaftlichen Konflikt. Sie schufen sich insbesondere in Mönchskreisen erbitterte Feinde. Der Bilderstreit (Ikonoklasmus) war vor allem unter Konstantin V. um die Mitte des 8. Jahrhunderts von gnadenlosen Gewaltmaßnahmen gegen anders Denkende begleitet. Erst mit der Entscheidung des 7. ökumenischen Konzils von Nicäa (787) zugunsten der Bilderverehrung kehrte allmählich wieder Ruhe ein. Die endgültige Wiederherstellung der Ikonenverehrung erfolgte jedoch erst im Jahre 843.Die Restauration unter den makedonischen Kaisern (867—1056)Ein dauerhafterer Friede in sicheren Grenzen rückte erstmals wieder unter den Herrschern der makedonischen Dynastie in greifbare Nähe. Diese profitierten von der günstigen Ausgangslage, die Kaiser Michael III. geschaffen hatte. Er hatte 860 einen ersten Angriff der bis dahin unbekannten »Russen« auf die Kaiserstadt abgewehrt und 863 in Kleinasien den Emir von Melitene (Malatya) besiegt. Basileios, der Ahnherr der makedonischen Dynastie, ein Bauernsohn aus Thrakien, ermordete 867 seinen kaiserlichen Gönner Michael III. und brachte die Macht an sich. In seiner Regierungszeit (867—886) übernahmen die kaiserlichen Feldherren an allen Grenzabschnitten die Initiative. Die byzantinische Flotte gewann in den adriatischen Gewässern die Oberhand zurück. Die Kirche setzte unter dem gelehrten Patriarchen Photios ihre erfolgreiche Slawenmission fort. Die zeitweilig guten Beziehungen zu den Bulgaren erlitten erst unter dem ehrgeizigen Bulgarenkhan Simeon I. (893—927) Schaden. Er wollte mit Gewalt eine Vereinigung der beiden Reiche herbeiführen und erhob Anspruch auf die Kaisermacht. Dank russischer Waffenhilfe konnte die Bulgarengefahr unter Kaiser Johannes I. Tzimiskes (969—976) weitgehend bereinigt werden. Einen letzten Aufstandsversuch unter Samuil, der sich 986 in Westmakedonien um Ohrid einen eigenen Herrschaftsbereich geschaffen hatte, kämpfte 1014 der »Bulgarentöter« Basileios II. (976—1025) nieder.Noch eindrucksvoller waren die Siege der kaiserlichen Waffen im Osten. Eine erfolgreiche byzantinische Gegenoffensive drängte die Araber über den Euphrat ab. Aus dem eroberten Edessa — dem heutigen türkischen Urfa — holte man 944 eine der berühmtesten Reliquien, das wundertätige Bild Christi, das Mandylion, nach Konstantinopel zurück. 961 brachte ein Flottenunternehmen unter Nikephoros Phokas (als Kaiser 963—969) das heiß umkämpfte Kreta zurück. Nach mehreren Vorstößen in Syrien wurden 969 Antiochia und Aleppo zurückerobert. Die heiligen Stätten der Christenheit in Palästina lagen in greifbarer Nähe.Die Herrschaftszeit der makedonischen Dynastie gilt als eine Periode der inneren Konsolidierung und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Sie hatte auch auf kulturellem Gebiet beachtenswerte Leistungen aufzuweisen. Unter Kaiser Leon VI. (886—912) wurde eine umfassende Rechtskodifikation abgeschlossen: In den »Sechzig Büchern der Basiliken« wurde eine systematische Aufbereitung der gesamten Rechtsmaterie in griechischer Sprache bereitgestellt. Der musisch begabte und wissenschaftlich interessierte Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos (913—959) erwarb sich als Auftraggeber enzyklopädischer Sammlungen der gesamten literarischen Überlieferung bleibende Verdienste. Er regte handbuchartige Zusammenfassungen des damaligen Wissens zu den verschiedensten Themen an und ließ wichtige Informationen zu den Völkerschaften des Reiches und den angrenzenden Regionen und zu den Gepflogenheiten am byzantinischen Kaiserhof zusammentragen. In die letzten Jahre der makedonischen Dynastie fällt die folgenreiche Kirchenspaltung (Schisma) von 1054. Der gegenseitige Bannfluch, den der päpstliche Legat Kardinal Humbert von Silva Candida und der Patriarch von Konstantinopel, Michael Kerullarios, aussprachen, stand am Ende zunehmender ost-westlicher Anfeindungen und führte zur irreparablen Trennung der östlichen orthodoxen und der westlichen lateinischen Kirche.Die kommende Zeitenwende war im Schicksalsjahr 1071 unübersehbar. Die Niederlage von Kaiser Romanos IV. Diogenes (1068—71) in der Schlacht von Mantzikert in Ostanatolien öffnete den turkstämmigen Seldschuken unter Sultan Alp Arslan den Weg ins Innere Kleinasiens. Mit der Festung Bari fiel im gleichen Jahr in Unteritalien der letzte byzantinische Außenposten in die Hände der Normannen. Im Norden der Balkanhalbinsel war die Donaugrenze vor den verheerenden Einfällen der Steppenvölker (Petschenegen, Uzen, Kumanen) und der Ungarn nicht mehr wirksam abzuschirmen. Von Westen her drohte die Invasion der Normannen, die schon 1081 den Sprung auf das gegenüberliegende Festland gewagt und Dyrrhachion (das heutige albanische Durrës) in ihre Gewalt gebracht hatten.In dem von Aufständen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen erschütterten Reich schlug erneut die Stunde der Militärs. Der kampferprobte Feldherr Alexios Komnenos, der dem kleinasiatischen Militäradel entstammte, leitete auf dem Kaiserthron nochmals eine Trendwende ein. Der weitgehende Verlust Kleinasiens an das seldschukische Sultanat Rum (mit dem Zentrum zunächst in Nikaia, seit 1097 in Ikonion, heute Konya) wie auch die wirtschaftlichen Zugeständnisse, die er im Handelsvertrag von 1082 den Venezianern für ihre Waffenhilfe gegen die Normannen einräumen musste, schränkten seinen Spielraum stark ein. Taktisches Geschick und unverhofftes Kriegsglück verhalfen dem Reich unter Alexios I. Komnenos (1081—1118) dennoch zu einem Neubeginn. Seinem Enkel Manuel I. Komnenos (1143—1180) verdankte es eine letzte Glanzperiode vor dem abrupten Niedergang. Vorboten des nahenden Unheils waren die Niederlage gegen die Seldschuken 1176 bei Myriokephalon und der erzwungene Rückzug vor den Ungarn, Serben und Bulgaren aus den nord- und zentralbalkanischen Landschaften.Die LateinerherrschaftDie gegen Ende des 11. Jahrhunderts einsetzende abendländische Kreuzzugsbewegung hatte nicht die erhoffte Entlastung in Kleinasien gebracht. Der Durchzug undisziplinierter bewaffneter Ritterscharen im Jahre 1096 löste im ost-westlichen Verhältnis erhebliche Störungen aus. Ein Jahrhundert später wurde die Kaiserstadt am Bosporus selbst das Opfer venezianischer Machtinteressen. Sie wurde von den Teilnehmern des 4. Kreuzzuges am 13. Mai 1204 erobert und schamlos ausgeplündert.Die Kreuzfahrer teilten das byzantinische Reichsterritorium unter sich auf. Graf Balduin von Flandern erhielt den Thron eines Lateinischen Kaiserreiches (1204—61) zugesprochen, das fünf Achtel Konstantinopels sowie vor allem Thrakien und den nordwestlichen Teil Kleinasiens umfasste, sein Konkurrent Markgraf Bonifatius II. von Montferrat fand sich mit einem Königreich Thessalonike und dem Umland ab und hielt weitere kleinere Fürstenherrschaften in Mittelgriechenland und auf der Peloponnes in Lehensabhängigkeit. Die Venezianer sicherten sich zum weiteren Ausbau ihres Kolonialreiches im Osten die verbliebenen drei Achtel Konstantinopels und nahmen die wichtigeren Häfen und Inseln in Besitz. Den Griechen verblieben nur wenige Zufluchtsorte in den Randgebieten des Reichs. Ein Verwandter des Kaiserhauses, Michael Angelos, behauptete im nordwestlichen Griechenland im Fürstentum (Despotat) von Epirus ein eigenes Herrschaftsgebiet. Noch vor dem Fall Konstantinopels war unter den Enkeln des letzten Komnenenkaisers Andronikos I. Komnenos (1183—85) mit georgischer Unterstützung an der südöstlichen Schwarzmeerküste das Kaiserreich von Trapezunt (1204—1461) entstanden.Widerstand gegen die verhassten Lateiner formierte sich unter den versprengten griechischen Adligen, die sich mit dem Hof nach Kleinasien abgesetzt hatten. Theodoros I. Laskaris ließ sich im August 1204 in Nikaia zum neuen Kaiser küren und 1208 vom Patriarchen als legitimer Thronerbe salben. Sein weiteres Überleben verdankte er nicht den eigenen Kräften, sondern nur glücklichen Umständen. 1205 rettete ihn der Sieg des Bulgarenzaren Kalojan über Kaiser Balduin aus einer hoffnungslosen militärischen Situation. 1230 beendete der Bulgarenzar Assen II. (1218—41) den Höhenflug der epirotischen Herrscher und schaltete den Mitkonkurrenten aus. Im Jahre 1242 behinderte der Einbruch der Mongolen im Balkanraum und in Kleinasien eine weitere Expansion der Seldschuken und Bulgaren. Unter Johannes III. Dukas Vatatzes (1222—54) festigte sich die Machtposition des Kaiserreiches von Nikaia. Sie befähigte den zum Mitregenten aufgestiegenen Heerführer aus altem Adel Michael Palaiologos dazu, 1259 bei Pelagonia einen Vorstoß verbündeter normannischer, epirotischer, lateinischer und serbischer Truppen abzuwehren und am 25. Juli 1261 kampflos in Konstantinopel einzuziehen. Um das Reich künftig besser vor den Machenschaften der venezianischen Dogen zu schützen, hatte Kaiser Michael VIII. Palaiologos zuvor schon ein Militärbündnis mit Genua geschlossen. Der Vertrag von Nymphaion vom 13. März 1261 räumte dem Konkurrenten Venedigs eine privilegierte Stellung im byzantinischen Handel ein.Die Restauration der Palaiologen (1259—1453)Unter der Palaiologendynastie gewann das Byzantinische Reich vorübergehend nochmals seine frühere Großmachtrolle zurück. Michael VIII. (1259/61—82) verstand es mit diplomatischem Geschick, seine Gegner gegeneinander auszuspielen. Karl I. von Anjou, der neue Herr Siziliens, musste seine Koalitions- und Invasionspläne im Jahre 1282 endgültig begraben, als Geldzuwendungen aus Konstantinopel König Peter III. von Aragonien in der Sizilianischen Vesper die Machtübernahme ermöglichten.Doch schon den Nachfolgern Michaels VIII. fehlte der notwendige Rückhalt, um ihren Willen gegen die egoistischen Standesinteressen der Großgrundbesitzer durchzusetzen. Das Reich löste sich in Teilherrschaften auf und büßte die militärische Schlagkraft ein. Unter diesen Voraussetzungen waren die kleinasiatischen Besitzungen auf Dauer gegen die nachdrängenden Turkstämme nicht mehr zu halten. Mit den Osmanen erwuchs den Byzantinern im unmittelbaren Vorfeld Konstantinopels ein respektabler Gegner. Auf der Balkanhalbinsel mussten die kaiserlichen Feldherren dem Serbenkönig Stephan IV. Dušan Uroš das Feld überlassen, der tief in makedonisches Territorium vordrang und sich 1346 zum Zaren der Serben und Griechen ausrufen und krönen ließ.In die erbitterten Auseinandersetzungen um die Macht am Kaiserhof wurden die Volksmassen und die Kirche hineingezogen. Die sozialen Spannungen entluden sich 1342 im Aufstand der Zeloten, die sich bis 1350 in ihrer Hochburg Thessalonike verschanzten. Die unüberbrückbaren religiösen Gegensätze, die im Hesychastenstreit ausgetragen wurden, verschärften den innerdynastischen Konflikt. Die nachfolgenden bürgerkriegsähnlichen Wirren erleichterten auswärtigen Mächten die Intervention.1354 fassten die Osmanen erstmals auf dem europäischen Kontinent bei Gallipoli (Gelibolu) Fuß. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte unterwarfen sie in einem beispiellosen Eroberungsfeldzug die christlichen Balkanvölker der Herrschaft des Islam. Vergeblich versuchten die byzantinischen Kaiser die Hilfe des christlichen Abendlandes zu mobilisieren. Um das drohende Unheil doch noch abzuwenden, fand sich Kaiser Johannes VIII. Palaiologos (1425—48) auf den Konzilien von Ferrara und Florenz (1438/39) sogar bereit, der päpstlichen Forderung nach einer Kirchenunion zuzustimmen. Nach der Vernichtung eines Kreuzfahrerheeres bei Warna 1444 blieb der letzte Palaiologenkaiser Konstantin XI. (1449—53) jedoch seinem Schicksal überlassen. Nur ein genuesisches Hilfskontingent harrte bei den Verteidigern aus, als Sultan Mehmed II. Fatih am 29. Mai 1453 die Erstürmung der Mauern befahl. Kaiser Konstantin XI. fand während der erbitterten Straßenkämpfe den Tod.Der Untergang der Kaiserstadt am Bosporus verfehlte in der abendländischen Christenheit seinen Eindruck nicht. Die Türkenfurcht griff um sich. In Südosteuropa richteten sich die Freiheitshoffnungen der orthodoxen Christen bald auf den glaubensverwandten russischen Herrscher. Seit der Heirat des Großfürsten Iwan III. Wassiljewitsch mit Sophia (Zoë) Palaiologa, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, im Jahre 1472 mehrten sich die Stimmen, die Moskau als das »dritte« und letzte Rom mit der fortlebenden Tradition der imperialen christlichen Kaiserherrschaft in Verbindung zu bringen versuchten.Das griechische kulturelle Erbe blieb lebendig in einer weitgestreuten griechischen Diaspora und wurde von Humanistenkreisen in ganz Europa aufgenommen und sorgsam gepflegt. Eine interessante Nachblüte erlebte es an den Fürstenhöfen der griechischen Hospodare (vom osmanischen Sultan eingesetzte Landesfürsten) in den Donaufürstentümern Moldau und Walachei während der Phanariotenzeit (1711 —1821).Prof. Dr. Edgar HöschWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Slawenmission: Sieg der geistlichen WaffenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Konstantinopel: Das zweite Rom im OstenByzanz. Geschichte und Kultur des Oströmischen Reiches, bearbeitet von Norman H. Baynes und Henry St. L. B. Moss. Aus dem Englischen. München 1964.Ducellier, Alain: Byzanz. Das Reich und die Stadt. Aus dem Französischen. Frankfurt am Main u. a. 1990.Hunger, Herbert: Reich der neuen Mitte. Der christliche Geist der byzantinischen Kultur. Graz u. a. 1965.Koder, Johannes: Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-geographischer Abriß ihres mittelalterlichen Staates im östlichen Mittelmeerraum. Graz u. a. 1984.Mazal, Otto: Handbuch der Byzantinistik. 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Universal-Lexikon. 2012.